Volkstanz zwischen den Zeiten - Diskussion: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 26. September 2013, 17:37 Uhr
Das von Waltraud Froihofer herausgegebene Buch führt zu zahlreichen Diskussionen. Für eine öffentliche Diskussion führe ich hier ein Forum ein.
Beim mehrfachen Lesen des Buches kamen mir viele Gedanken. Einige davon sind äußerst positiv. Es steht vieles in dem Buch, das für heutige Volkstänzer wichtig wäre, und daneben, aber viel zu sehr im Vordergrund, viele, viel zu viele Teilwahrheiten, Halbwahrheiten. Der Grundtenor des Buches ist leider negativ und besserwisserisch. Dabei wäre eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit des Volkstanzes so wichtig.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich hier einiges aus meinen Eindrücken aufzeigen und zur Diskussion stellen.
Das Buch ist veraltet
In der Website der BAG steht bei den Büchern: Wichtig: Grundsätzlich empfiehlt sich, Veröffentlichungen, deren Ersterscheinung vor über 20 Jahre erfolgte, kritisch auf ihre Aktualität zu prüfen. Dies gilt besonders für die darin enthaltenen theoretischen Überlegungen und Thesen.
Ich behaupte nun, jedes Fachbuch ist bereits bei seinem Erscheinen veraltet, neueste Erkenntnisse, die vielleicht erst durch das Buch auftauchen, können nicht mehr eingearbeitet werden, und das gilt im Besonderen auch für dieses Buch. Dies zeigt auch die angeregte Diskussion. Ich werde nun versuchen, diese Behauptung zu untermauern.
Druckfehler
In diesem Buch gibt es viele, oft harmlose Druckfehler, die niemand mehr ausbessern kann. Das wäre im Internet leicht möglich. Einen wesentlichen hat die Mitautorin Hadmut Glatz aufgezeigt:
Bei meinem Text ist durch die Lektorin ein Gedankenfehler passiert. In Seite 279 steht: Im Allgemeinen war Lager aber der Meinung, dass der Kindertanz nichts für Volkstänzer sei. Es muss aber umgekehrt heißen: Im Allgemeinen war Lager aber der Meinung, dass der Volkstanz nicht für Kinder sei.
Autoren
An diesem Buch haben viele Autoren mitgewirkt. Ich habe bei derartigen Büchern immer das Gefühl, sie bestehen aus einer Ansammlung von persönlichen Meinungen, die zwar wissenschaftlich begründbar sind, aber nicht aufeinander abgestimmt. Das führt unweigerlich zu Widersprüchen. Es gibt keine Zusammenschau, einzelne Autoren vertreten auch gegensätzliche Meinungen mit dem Anspruch der wissenschaftlichen Wahrheit.
Widersprüche
Das Buch strotzt vor Ungenauigkeiten, Widersprüchen, Halbwahrheiten, unzulässigen Annahmen. Ich kann hier nicht alle anführen, bringe daher nur Beispiele.
Raimund Zoder
Auf Seite 12 steht etwa über Raimund Zoder: Heute empfinden wir diese Ideengebäude als eher bizarr und abzulehnen, …. Das wird dann auf vielen Seiten in mehreren Kapiteln in äußerst negativer Art versucht, mit Sachbeweisen zu untermauern. Allerdings steht dann auf Seite 217, dass das Österreichische Volksliedwerk heute noch (2009) ganz im Sinne von Raimund Zoder arbeite.
Was also? Arbeitet das Volksliedwerk nach bizarren Ideengebäuden? Oder ist das Wort bizarr vielleicht doch etwas zu übertrieben formuliert? Hatte Zoder vielleicht doch nicht ausschließlich bizarre, heute nicht mehr zeitgemäße Ideen?
Hermann Lein
Auf Seite 11 steht: Auf der (politisch?) anderen Seite stand … Hermann Lein – ohne zu präzisieren, was an dieser Aussage für uns Volkstänzer Wichtiges sein könnte.
Auf Seite 76 wird Lein wegen seiner politischen Ansichten positiv erwähnt, dafür wird auf Seite 70 von der gleichen Autorin der von ihm 1946 initiierte Kathreintanz in den negativen Zusammenhang von mehreren Seiten Ausführungen über die Nazi-Ideologie gestellt.
Nirgends wird erwähnt, dass Lein trotz (oder wegen?) seiner politischen Ansichten als katholischer Widerstandskämpfer die (bizarren?) Ansichten seines Freundes Raimund Zoder teilte.
Richard Wolfram
Auf Seite 12 steht über Richard Wolfram: hatte keine theoretische Basis mehr, nicht einmal eine bizarre. Diese nicht vorhandene theoretische Basis wird dann auf etlichen Dutzend Seiten zerpflückt.
Wichtig sind den Autoren nicht seine Leistungen, die ja alle zu hinterfragen sind. Tatsächlich hinterfragt wird nur die bei ihm zweifelsfrei festgestellte Nazi-Ideologie.
Gründung der BAG
Auf Seite 239 steht in sehr negativ wirkendem Zusammenhang: Um die Verbindungen (Wolframs) zu Kollegen weiterhin zu wahren und zu pflegen, wurde beschlossen, einen Verein zu gründen. Und so gründeten die volkstanzbegeisterten Herren … die Österreichische Bundesarbeitsgemeinschaft für den Volkstanz und weitere Herren, die für das SS-Ahnenerbe tätig waren.
Das mag sogar damals mitgespielt haben, aber dass die Verbindung Wolframs zu Kollegen der einzige und alleinige Grund für die Gründung der BAG war, ist höchstens eine unzulässige Halbwahrheit. Jedenfalls waren damals mindestens zwei volkstanzbegeisterte Herren dabei, die auch laut dem Buch nicht zu den Freunden Wolframs gehörten.
Nazi-Ideologie
Im Buch wird angeführt, etliche Volkstanz-Forscher waren Nazi, sogar bevor es die Nazi überhaupt gab. Ihre Forschungen seinen daher dringend zu hinterfragen. In Ordnung. Aber – im Buch wird nichts hinterfragt.
Die Nazi-Ideologie war und ist eine verbrecherische Ideologie. Das heißt aber nicht, das alles und jedes, das aus dieser Ideologie entstand oder in ihr auch nur verwendet wurde, automatisch schlecht wäre.
Ein Beispiel: Hitler ließ Autobahnen bauen, um für seine verbrecherischen Kriege die Heere schnell von A nach B zu schicken. Dürfen wir daher heute Autobahnen benutzen oder müssen wir sie hinterfragen? – Ja! Hinterfragen schon! Aber heute aus einem anderen Grund: ob es sinnvoll ist, darauf Erdäpfel von Norddeutschland nach Italien zum Schälen zu karren oder auch nur die Tante Lintschi zum Sonnenuntergang in die Alpen.
Eine Autobahn ist heute nicht mehr ein Kriegsinstrument, sondern verursacht vermehrte Abgase und vermehrten Erdölverbrauch. Das sind unsere heutigen Sorgen, die haben aber nichts mehr mit Nazi-Ideologie zu tun.
Im Buch kommt leider viel zu wenig heraus, dass all die auch skurrilen Ansichten, die als Nazi-Ideologie behauptet werden, damals und schon lang vor den Nazis möglicherweise anerkannter Stand der Wissenschaft oder zumindest allgemein verbreitet waren (siehe Beitrag von Hadmut Glatz weiter unten) und von den Nazis nur benutzt wurden. Sie sind heute überholt und sollten hinterfragt werden, was das Buch leider nicht tut.
Ich hoffe nur, dass unsere Enkel in 50 Jahren mit dann neueren Erkenntnissen nicht auch unsere Ansichten so negativ bewerten und aburteilen.
Das Buch regt immer wieder an, altüberlieferte Ansichten zu hinterfragen. Oftmals steht bei Zoder, Lager, Wolfram und anderen, ihre Forschungen seien aus heutiger Sicht zu hinterfragen. Das ist in Ordnung, das unterstütze ich sehr. Aber – das Buch hinterfragt genau nichts.
Mit einer Ausnahme:
Das Alte und das Echte
Dies ist fast der einzige wirklich positive Beitrag im ganzen Buch.
Herbert Zotti hinterfragt auf den Seiten 169 und 170 im kürzesten Beitrag des Buches diese beiden Begriffe mit Streifzügen nach überliefert und Kommerz. Seine pointierte bis ironische Art kann man mögen oder nicht. Aber er hat einfach recht mit allem, was er schreibt, und das, ohne irgendwelche historischen Personen, die sich nicht mehr wehren können, anzupatzen. Im Gegenteil, er nennt keinen einzigen Namen, aber jeder weiß, was gemeint ist.
Tracht und Nazi-Ideologie
Zu diesem Thema verweise ich auf eine Rede von Miguel Herz-Kestranek anlässlich der Verleihung des Konrad-Mautner-Preises am 11. März 2008 in Wien. Die Tageszeitung Der Standard brachte sie in ihrer Online-Ausgabe vom 13. März 2008 unter dem Titel Tracht und Rassenwahn.
Miguel Herz-Kestranek steht auch wegen seiner jüdischen Herkunft sicher nicht im Verdacht, Nazi-Idologie anzuhängen und macht das in diesem Artikel sehr deutlich. Er schreibt zwar über Tracht, Volkstum, Volksmusik, Lied, Tradition, aber seine Ausführungen sind sicher auch auf den Volkstanz zu übertragen. Ein Beispiel: wenn wir Begriffen wie etwa Heimat, Ehre, Treue ihre Besudelung nicht entreißen, dann geben wir nachträglich denen Recht, die sie missbraucht haben und denen, die es heute unter ähnlichen Vorzeichen wieder oder noch immer tun.
Das, genau das ist für mich Aufarbeitung, Hinterfragung, und genau das kommt im Buch leider kaum bis gar nicht vor. Bitte lesen Sie den Artikel.
Kommentar von Hadmut Glatz im fröhlichen kreis 2013/3
Hadmut Glatz hat mir im Mai folgenden Kommentar geschickt:
Anmerkung zum Artikel: Volkstanzkultur im Schnittpunkt von Pflege, Forschung und staatlichen Interessen. Teil 2. Waltraud Froihofer
Mein ganzes Berufsleben habe ich als Lehrer und Erzieher mit Jugendlichen gearbeitet. Da passt für mich sehr gut die Aussage von Bischof Stecher in seinem Buch Spätlese: Bei der Jugendarbeit sind mir die Berge zu Hilfe gekommen ... sie bieten rauschhafte Erlebnisse, wie sie die Jugend braucht.
Auch ich meine, dass die Jugend Erlebnisse in der Gemeinschaft braucht, für mich ist Gemeinschaft ein positiver Wert.
Bei Froihofer wird dieser Ausdruck negativ gebracht. Sie schreibt (S 69): Volkstanz ist Ausdrucksmittel von Gemeinschaft. Der Tanzkreis ist umlegbar auf die große Gemeinschaft, die Volksgemeinschaft.
Zoder und Lager (S 69) bekennen sich zu: Volkstanz ist Ausdrucksmittel von Gemeinschaft. Hier ist Gemeinschaft positiv gemeint.
Froihofer geht so weit das sie schreibt: Der Volkstanz wurde nicht vereinnahmt, er war ein Teil des Systems.
Ich habe ein Zeitproblem.
Die Volkstanzaufzeichnungen von Zoder sind älter als das nationalsozialistische System.
Was ist bei Lager anzuprangern wenn er auf den Aufzeichnungen von Zoder basierend die österreichischen Grundformen des Volkstanzes veröffentlichte, die sich in den Gemeinschaftstänzen 1969 wiederholen.
Froihofer: (S70) die Tanzauswahl erfuhr über die politischen Umbrüche hinweg keine kritische Befragung.
Zur Auswahl des Tanzgutes
Wenn Richard Wolfram 1951 schreibt : Modern tanzen sei Geschmacksverwirrung und Kulturverfall der weißen Menschheit, so finde ich das arg. Aber ähnliche Gedanken findet man auch bei Böhme (S316). Wir sind nach 1945 ja geradezu geschult worden in Jazzdance, Afrodance usw. Wir spüren aber schnell eine Schranke, wenn wir die Handbewegungen einer indischen Tänzerin nachmachen sollen.
Dürfen wir nicht die Tänze tanzen, die bei uns aufgezeichnet worden sind?
Böhme schreibt in „Geschichte des Tanzes in Deutschland“ 1886, Nachdruck 1996 auf Seite 4: Jedes Volk hat seine Tänze, darin sein eigenartiges Naturell ausgedrückt und sein Volkscharakter abgespiegelt wird.
Mythologie
Böhme schreibt (S 23): Das zum Christentum bekehrte deutsche Volk tanzte trotz aller kirchlichen Verbote seine alten Tänze sogar oft mit ihren alten Texten noch lange fort ... und weiter: Unsere Kinderreigen sind – wenn auch verstümmelt – Überreste altheidnischer Reigen. Als Beleg für die Stellungnahme der Kirche (S 82): Bruder Berthold von Regensburg predigte 1272: Das Tanzen an Sonn- und Feiertagen ist eine Todsünde.
Dazu passen Böhmes Aussagen über einzelne Tänze.
(S155) Der Siebensprung stammt jedenfalls aus der Heidenzeit und war ein Opfertanz der Germanen zur Frühlingsfeier.
(S158) Die Echternachter Springprozession ist der Überrest eines altheidnischen Tanzes zur Frühlingszeit. Der Ursprung ist
- a) Die Abwendung einer Seuche beim Vieh.
- b) Die Abwendung einer Veitstanz Epidemie.
- c) nach Simrock ein heidnischen Siegesfest des Sommers.
Jöde schreibt in seinem Buch: Ringel Rangel Rosen (1913)
Ringel Rangel Rosen (S 135): Ist der Überrest eines Opfertanzes. Das Niederfallen im Kinderreigen ist gewissen Zeremonien der Götteranrufung ähnlich.
Wir treten auf die Kette (S 137) Vielleicht der Überrest eine alten Chorreigens.
Ting tang Töchterlein: (S 144): Engelland, das himmlische Lichterreich ist zuzeiten verschlossen. Die Dämonen des Winters halten Holda und die Seelen der Verstorbenen gefangen. Im Frühling wird die Göttin befreit.
Brückenspiele (S 149) Jöde schreibt: Laut Rochholz (Alemannisches Kinderspiel 1857) führen die Brückenspiele auf eine mythologische Grundlage zurück. Der Sinn des Spieles bezieht sich auf den Heidenglauben vom Ritt der Toten über die Totenbrücke, welche die Gewässer zwischen Menschenwelt und Totenreich überbrückt. Aus dem Altertum her spinnt sich dann der Volksglaube vom Streit der Engel und Teufel am Sterbetag um die Seele.
Haiding (geb. 1907) zeichnet Tänze, Kindertänze und Kinderspiele auf. Diese Aufzeichnungen liegen in Salzburg und sind immer noch nicht zugänglich.
Froihofer schreibt über das Jahr 1935 (S70): dennoch pflegte Haiding schon damals ideologisch Verbindung zu Hitlerdeutschland.
Zu diesem Zeitpunkt (1935) war die NSDAP in Österreich verboten. Ich frage mich, inwieweit man sich damals frei äußern konnte ohne im Gefängnis zu landen.
Interessant ist Haidings Meinung aus dem Buch Kinderspiel und Volksüberlieferung (1939): Folgende Elemente des Kindertanzes sollen in Bezug auf ihre Bedeutung genauer untersucht werden: die Lachvermeidung, das Springen über den Strich, das Laufen durch die Reihe der Schlagenden, der Überfall der Hunde, die Stellung von Engel und Teufel, die Befragung des Weggeholten, das Spiel von der gebrochenen Brücke, die Bedeutung von Reihe und Kette.
Er schreibt im Vorwort: Jene Spiele, die einst den Kern des germanischen Festes bildeten, sind so lange durch Verbote und strenge Strafen verfolgt worden, bis nur wenig davon im Besitz der Erwachsenen verblieben ist. Vieles hat sich aber zu den Kindern gerettet und ermöglicht so einen aufschlussreichen Einblick in unser ursprüngliches bodenständiges Spielgut.
Haiding war Nationalsozialist. Aber was ist neu in seiner Auslegung? Was haben nicht schon Rochholz, Böhme und Jöde vertreten?
Ich weiß bis heute nicht, ob man in Österreich vom Nationalsozialismus erst seit 1938 spricht oder schon zu der Zeit, wo die Partei verboten war. Hat zum Beispiel der Ausschluss der Sektion Donauland 1924 aus dem Alpenverein etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun? War Karl Renner Nationalsozialist? Er hat 1920 die Regierung dazu aufgerufen „die Judenfrage zu klären“.
Ich finde es großartig, dass endlich die Aufarbeitung dieser Zeit in Angriff genommen wurde und ich möchte Frau Froihofer für ihre Arbeit danken.
Schade nur, dass in diesem Buch nicht zwischen wissenschaftlicher Arbeit und der Auslegung im Sinne des Nationalsozialismus unterschieden wurde.
Hadmut Glatz
Der Kommentar darf umformuliert werden. Der Text soll zu einem Gespräch mit Frau Froihofer dienen.
weitere Rückmeldungen im fröhlichen kreis
In der Zeitschrift fröhlicher kreis der BAG wurden etliche Artikel zu diesem Buch veröffentlicht. Sie sind auch im Internet zu finden:
- Im fröhlichen kreis 2012/3 stellt Helmut Jeglitsch auf Seite 6 das Buch erstmalig vor.
- Im fröhlichen kreis 2013/1 schreibt Susanne Schedtler eine längere Einführung zum neuen Buch.
- Im fröhlichen kreis 2013/2 schreibt Iris Mochar ab Seite 6 über die Tracht.
- Im fröhlichen kreis 2013/3, den ich demnächst ins Internet stellen werde, steht neben dem oben abgedruckten Beitrag von Hadmut Glatz auch ein Leserbrief von Hella Wald über die Person Richard Wolfram.
- Im fröhlichen kreis 2013/4 veröffentlicht Herbert Zotti unter dem Titel Schreiberbrief eine pointiert geschriebene längere Entgegnung zum Leserbrief von Hadmut Glatz. Wer mehr darüber lesen möchte, sollte vielleicht doch den fröhlichen Kreis bestellen.
Vergangenheitsgespräch
Einladung zum Vergangenheitsgespräch
9. + 10.11. 2013, Bad Ischl, Hotel „Goldenes Schiff“
Das Buch „Volkstanz zwischen den Zeiten“, herausgegeben von Mag. Waltraud Froihofer, hat große Aufmerksamkeit und Zustimmung erregt. Aber auch erheblichen Widerspruch ausgelöst. Wir möchten in einer Tagung die wesentlichsten offenen Fragen aufgreifen und diskutieren. Dazu stehen uns hervorragende Referenten bzw. fachliche Begleiter zur Verfügung, die einleitend drei kurze Referate bringen:
- Dr. Lothar Höbelt, Professor für Neuere Geschichte an der Univ. Wien, spricht über das Thema: "Ist Volkskultur ohne Patriotismus / Nationalismus möglich?
- Dr. Justin Stagl, Em. Prof. für Soziologie an der Univ. Salzburg, wird den Fragenkreis Gemeinschaft (auch Volksgemeinschaft)/ Gesellschaft klären.
- Dr. Elsbeth Wallnöfer, Volkskundlerin & Philosophin wird sich mit den Fragen "Wie geht man mit dem braunen Erbe um?" und "Kann / darf / muss man das Werk von der Person trennen?" beschäftigen.
Näheres in der Einladung
Aufarbeitung im Internet
Ich habe vor, in Dancilla nach und nach einiges von der im Buch geäußerten Kritik aufzuarbeiten. Ich würde mich da über fachkundige Hilfe sehr freuen.
Begonnen habe ich mit der Seite Kategorie:Gestalteter Tanz, (von Volkstanzleitern gestaltete Tänze).
Einzelne Werke der Volkstanzliteratur werde ich mir als nächstes vornehmen, etwa Österreichische Volkstänze
Ihre Beiträge
Hier warte ich auf Diskussionsbeiträge, auf kritische Gedanken von Lesern oder auf erklärende Beiträge von Historikern.
Hier könnte Ihr Beitrag stehen.
Herbert Zotti (17. 9. 13)
Diskussionsbeitrag zu den Thesen von Franz Fuchs
1) Das Buch ist veraltet: Es mag ja sein, dass Bücher der Naturwissenschaften, Technik und Bauwirtschaft sehr schnell veralten. Auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften (wer würde Platon, Aristoteles oder Seneca als „veraltet“ bezeichnen?), auch der Geschichte ist das jedenfalls nicht so.
2) Druckfehler: Interessieren mich üblicherweise weniger. Aber in dem angeführten Fall hast Du zweifellos recht und doch ist es nicht ganz so: Lager war überzeugt davon, dass der Paartanz nichts für Kinder sei (ich hatte Gelegenheit mit ihm anlässlich der Filmaufnahmen zu den „Alten Tänzen für junge Leute“ zu sprechen.) O-Ton Lager: „Der Österreichische Volkstanz eignet sich wegen seiner starken Partnerbezogenheit nur in begrenztem Ausmaß für Altersstufen vor der Pubertät..“
3) Autoren & Widersprüche: Jeder, der Geschichte erzählt, erzählt auch Geschichten. Das ist zwar banal, aber trotzdem stimmt’s. Daher ist es gut verschiedene Meinungen und Perspektiven zu haben. Jeder Tagungsband und jede „Compilation“ zu einem Thema steht vor dem „Problem“ von Widersprüchen. Die muss man aushalten, da es hier immer um Deutungen geht und nicht um „wissenschaftliche Wahrheit“ – was immer das auch sein möge.
4) Raimund Zoder: Vielleicht haben wir ja verschiedene Ausgaben des Buches. Bei mir steht der erwähnte Satz mit dem „bizarren Gedankengebäude" auf Seite 5 (nicht 12) und auf Seite 217 findet sich die Bemerkung, „dass das Österreichische Volksliedwerk heute noch ganz im Sinne von Raimund Zoder arbeite“ jedenfalls nicht. Wie dem auch sei: Möglicherweise ist die Wortwahl „bizarr“ nicht besonders glücklich. Zur Sache selbst: Weder das Wiener Volksliedwerk (das ich ein wenig besser kenne), noch das ÖVLW arbeiten „ganz im Sinne..“!
5) Nazi – Ideologie: Du wirst vielleicht verstehen, dass ich der ewigen Rückgriffe auf die Adolfschen Segnungen, wie etwa der Autobahn, schon ein wenig müde bin. Die „skurrilen Ansichten, die als Nazi-Ideologie behauptet werden“ waren zu keiner Zeit „Stand der Wissenschaften“. Verbreitet waren sie schon, wenn auch zumeist in Vulgärform. Rassenlehre, rassischer Antisemitismus, Germanenmythologie und etwa das Führer-Gefolgschaftsprinzip. Wir finden vieles davon schon bei Houston Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, aufgewärmt dann in Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“. Und natürlich auch in „Mein Kampf“ (1925/26), der mit seiner Gesamtauflage von nahezu 11 Mio. Stück eine enorme Verbreitung hatte.
Rosenberg hat übrigens auch die „Protokolle der Weisen von Zion“ bereits 1923 herausgegeben, die in riesigen weiteren Auflagen erschienen und erstens eine Fälschung sind und zweitens den Antisemitismus dramatisch angeheizt haben.
Im kommenden „Fröhlichen Kreis“ werde ich eine Stellungnahme zum Leserbrief von Hadmut Glatz abdrucken.
H. Zotti
Anscheinend gibt es wirklich "verschiedene Ausgaben des Buches"? Bei mir steht noch immer auf Seite 5 der Buchtitel, Seite 12 ist im Vorwort von Helmut Jeglitsch, und Seite 217 ist die letzte Seite des Artikels von Michaela Brodl. Im Übrigen danke ich für diesen Beitrag, möchte ihn aber jetzt noch nicht kommentieren, obwohl mich einiges daran stört. Franz Fuchs
fröhlicher kreis 2013/4, Editorial
Ich möchte hier nicht die ganze Zeitschrift abtippen oder kopieren. Ein Gedanke aus dem Editorial von Herbert Zotti gehört aber doch hier her:
Es geht bei unserer (durchaus auch ziemlich braunen) Volkstanz-Geschichte darum, das wir daraus lernen, um mit diesem Wissen auch die Zukunft der Volkstanzbewegung gestalten zu können. Also nicht um "Hexen- oder Nazijagd". Aber es ist etwa schon wichtig, zu begreifen, warum unsere Altvorderen wesentlich vom "Führer-Gefolgschaftsprinzip" geprägt waren und mit ihnen auch die ganze Volkstanzbewegung. In einer demokratischen Gesellschaft funktioniert das einfach nicht mehr so.
Waltraud Froihofer (18. 9. 13)
Liebe Alle,
zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass der folgende Diskussionsbeitrag zu den Thesen von Franz Fuchs etwas ausführlicher geartet ist. Aber es scheint einfach nötig zu sein, ein paar Grundsätzlichkeiten zu klären:
Es ist wirklich sehr begrüßenswert, dass sich Volkstanzfreunde das durchaus inhaltsreiche Buch so im Detail durchlesen und aneignen. Ich verstehe es auch, dass es nicht einfach auszuhalten ist, Dinge in dem Buch zu lesen, die man eigentlich nicht hören möchte, bzw. die das eigene Bild vom Volkstanz und seiner Geschichte erschüttern. Trotzdem ist es nicht angebracht, die Publikation aus persönlich empfundener Enttäuschung - und weil das der einfachste Weg der Ablehnung von Inhalten ist - mit allen Mitteln als qualitätslos darzustellen. Die Inhalte als „Teilwahrheiten“ und „Halbwahrheiten“ und den „Grundtenor“ als „negativ“ und „besserwisserisch“ zu bewerten, entspricht keiner seriösen, fachlich qualifizierten Buchbesprechung und ist auch kein konstruktiver Diskussionsbeitrag zur Geschichte der Volkstanzkultur.
Ad „Das Buch ist veraltet“:
Fachbücher ab ihrem Erscheinungstermin als „veraltet“ zu bezeichnen, würde bedeuten, es mache keinen Sinn Fachbücher zu schreiben, weil sie nie den aktuellen fachlichen Wissensstand wiederspiegeln könnten. In den Geistes- und Kulturwissenschaften gibt es Erfahrungswerte, in welchen Zeiträumen sich grundlegende Thesen und methodische Zugangsweisen ändern. 20 Jahre ist ein durchschnittlicher Richtwert - plus/minus selbstverständlich. Daher kann eine Neuerscheinung nie als „veraltet“ bewerten werden, insofern ihre Beiträge dem aktuellen fachlichen Methodenstand entsprechend verfasst wurden. Wie man so was macht, lernt man ausführlich während des Studiums an der Universität. Das ist fachliches Basiswissen, ohne dessen Kenntnis ein Studiumabschluss völlig ausgeschlossen ist.
Hier im konkreten Fall ist unter anderem fachlicher Wissensstand von SoziologInnen, HistorikerInnen, VolkskundlerInnen, VolksmusikforscherInnen, MusikpädagogInnen dargelegt und nicht der Wissensstand oder besser Erfahrungsstand von ALLEN volkstanzenden Menschen Österreichs und Südtirols. Fachwissen und persönliches Erfahrungswissen sind völlig unterschiedliche Dinge und können seriöser Weise nicht gleich gesetzt werden. Selbstverständlich kann persönliches Erfahrungswissen etwa von Gewährspersonen wertvolle Grundlage wissenschaftlicher Beiträge sein, aber stets in Form einer Analyse. Analysen erfordern wissenschaftliches „Handwerkzeug“ das ebenfalls zur Basisausbildung an der Unis gehört. Volkstänzerisches Erfahrungswissen ist nicht gleich Analyse. In den Diskussionsbeiträgen von Franz Fuchs und Hadmut Glatz kommt es zu dieser Gleichsetzung von Fachwissen wissenschaftlich ausgebildeter Personen mit persönlichem Erfahrungswissen volkstanzender Menschen, bzw. die fachlichen Aussagen werden hier mit persönlichen Beobachtungen/Erfahrungen widerlegt. Das macht wenig Sinn, denn im Buch wird das Thema „Volkstanz“ in einer sehr breit angelegten, umfassenden Weise diskutiert und nicht anhand der Meinung von einzelnen Personen. Hier ist dringend ein Blick in die Originalaufsätze auf der DVD empfohlen. In den Fußnoten ist für jeden simpel nachvollziehbar, welche Quellenvielfalt in jedem einzelnen Aufsatz die Grundlage des Geschriebenen bildet.
Ad Druckfehler:
Leider passieren in jeder Publikation dieser Größenordnung Druckfehler. Wir haben immerhin über 1000 A4 Seiten Gesamttext. Druckfehler lassen sich nicht 100%ig vermeiden. Das ist menschlich. Sie kommen in dieser Publikation nicht in einer, das durchschnittliche Maß übersteigenden Zahl vor. Die Aussage: „In diesem Buch gibt es viele, oft harmlose Druckfehler, die niemand mehr ausbessern kann“ lässt sich nicht verifizieren, sondern dient lediglich einer Argumentation, die bewusst den Eindruck erweckten will, es handle sich um eine Publikation von grundsätzlich schlechter Qualität.
Ad Autoren:
Publikationen mit interdisziplinärer Autorenschaft sind derzeitig eine übliche Form des Herangehens an ein Thema. Es war von Beginn an Teil des Projektkonzeptes, diese auch zahlenmäßige Vielfalt an Autoren anzustreben, um „Volkstanz“ in einer wirklich umfassenden Weise zum Thema machen zu können. Das macht Sinn, denn der Erkenntnisgewinn ist so am Größten.
ÜBRIGENS: Persönliche Meinungen von Autoren müssen in wissenschaftlichen Texten als solche deutlich erkennbar sein. Der pauschale Vorwurf, die AutorInnen hätten in dem Buch lediglich nach wissenschaftlichen Beweisen für ihre persönlichen Meinungen gesucht, ist eine Unterstellung, die den AutorInnen die Kenntnis über die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens gänzlich absprechen. Vereinfacht gesagt, bedeute dies, dass die AutorInnen von ihrem Beruf nichts verstehen würden. Ich weise als Herausgeberin den Vorwurf daher entschieden zurück. Die AutorInnen wurden sorgfältig ausgewählt, sind oder waren zum Teil in universitärer Lehre als ProfessorInnen tätig, sind national und international anerkannte Fachleute auf ihrem Gebiet oder verfügen über umfassende praktische Erfahrungen im Bereich Volkstanz. Die Beiträge in ihren inhaltlichen Aussagen aufeinander abzustimmen, entspricht nicht der wissenschaftlichen Praxis und würde Fachpublikationen überhaupt unsinnig machen. Jeder Autor, jede Autorin steht für sich und geht innerhalb des Spielraumes, den die wissenschaftliche Methodik bietet, individuell an das gestellte Aufsatzthema heran. Das ist Standard. Es gibt keine Zensur oder diktatorische Vorgabe, was in den Artikeln drinnen zu stehen hat und was nicht. Es wäre schlichtweg unseriös und das Geschriebene hätte keine Aussagekraft. Jede Autorin/jeder Autor hat ein spezielles Thema abgehandelt und dabei exakt angegeben, auf welche Quellen sie/er sich stützt.
Ad Widersprüche:
Vorwurf: „Das Buch strotzt vor Ungenauigkeiten, Widersprüchen, Halbwahrheiten, unzulässigen Annahmen. Ich kann hier nicht alle anführen, bringe daher nur Beispiele.“
Diese Aussage ist eine Zumutung, und ich empfinde sie als bodenlose Frechheit gegenüber allen AutorInnen die mitgewirkt haben! Die im Folgenden aufgelisteten Beispiele, sind völlig aus ihren Zusammenhängen gerissen. Wenn sie im Gesamtkontext richtig verstanden worden wären, würde sich der Vorwurf sofort als haltlos erweisen.
Ad Nazi-Ideologie:
Es gibt mittlerweile fachlich sehr gute Fernsehdokumentationen zur Geschichte der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, die fast täglich z.B. auf ZDF-Info laufen. Sie zeigen die Zeit aus verschiedensten Perspektiven, vom Alltag an der Front bis hin zu ausführlichsten Portraits über Adolf Hitler und allen weiteren Entscheidungsträgern oder Personen in deren Umfeld, von Kultur-Stars der Zeit bis hin zu technischen Erfindungen usw. Das heißt, man muss heute keine schwierig zu lesenden Fachbücher wälzen, um sich über das Thema Wissen anzueignen. Es steht bequem frei Haus und gratis zur Verfügung und auch Personen, die auf Grund ihres Geburtsjahrganges in der Schule noch nichts oder wenig von dieser Zeit gelernt haben, haben die Möglichkeit sich fortzubilden. Die Teilhabe an diesem Wissen sollte heute für jede/jeden in einem demokratischen Staat als Pflicht verstanden werden. Es zählt zum Allgemeinwissen. Soviel mal grundsätzlich.
Der Diskussionsteilnehmer schreibt: „Die Nazi-Ideologie war und ist eine verbrecherische Ideologie. Das heißt aber nicht, das alles und jedes, das aus dieser Ideologie entstand oder in ihr auch nur verwendet wurde, automatisch schlecht wäre.“
Das ist ein immer wieder gehörtes und mittlerweile abgelutschtes Argument, ohne inhaltliche Aussagekraft. Keiner, der sich mit NS, Austrofaschismus oder sonstigen Zeitgeschehnissen fachlich beschäftigt, hat ein Interesse daran, irgendwas als „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten. Solche Bewertungskriterien sind wissenschaftlich irrelevant. AutorInnen bewerten nicht mit trivialer schwarz/weiß-Malerei, sie analysieren differenzierend.
Den Vorwurf, dass das Buch nichts hinterfrage, verstehe ich nicht.
ANPATZEN: Das Buch „patzt“ niemanden an. Die Quellenhinweise sind für jeden transparent nachvollziehbar. Es wird nichts erfunden, sondern nur aufbereitet, was durch Quellen belegt ist. Die AutorInnen sind nicht verantwortlich für das, was VolkstanzforscherInnen oder –pflegerInnen in früheren Zeiten gemacht oder nicht gemacht haben! Die Verantwortung für deren Handlung liegt schon bei ihnen selbst. Die AutorInnen bewerten diese Handlungen auch nicht als „gut“ oder „schlecht“, sondern analysieren sie unter Einbeziehung ihres zeitlichen und räumlichen Kontextes. Den Vorwurf des „Anpatzens“ habe ich im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Publikationsprojektes oft gehört. Wenn Kulturgeschichte, so wie in der Publikation geschehen, differenzierend und mit Quellen belegt aufgearbeitet wird, erweist sich der Vorwurf des „Anpatzens“ als haltlos.
Ad Tracht und Nazi-Ideologie:
Ich empfehle das Buch ein weiteres Mal zu lesen, denn genau das wird ja von über 30 AutorInnen in über 40 Beiträgen gemacht.
Abschließend:
Ich ersuche dringend, den AutorInnen dieser Publikation entsprechend den in unserer Gesellschaft gängigen Umgangsformen einen angemessenen Respekt vor ihrer fachlichen Qualifikation entgegen zu bringen. Es ist nicht angebracht, fachliche Arbeit in Bereichen abzuqualifizieren, wo man selbst nicht die nötigen Fachkenntnisse dazu hat. Ich sag dem Chirurgen im OP auch nicht, wie er seine OP-Instrumente zu verwenden habe.
Mit freundlichen Grüßen,
Waltraud Froihofer
Ich warte auf weitere Beiträge.